Stolperstein für

Max Mejer Rosenwasser

Adresse: Thomasiusstraße 5

 

Max Mejer Rosenwasser (auch Meir oder Meer Rozenwaser geschrieben) wurde am 12. August 1886 in Siedlce geboren. Er war der Sohn des in Siedlce ansässigen Zigarettenfabrikanten Josef Rosenwasser (1862–1938) und von dessen Ehefrau Frimmet Rosenwasser, geborene Grünpelz (1861–1915). Max Mejer hatte mindestens eine jüngere Schwester namens Chana, die 1891 ebenfalls in Siedlce zur Welt kam. Die Stadt liegt etwa 80 Kilometer östlich von Warschau (Warszawa) und gehörte im 19. Jahrhundert als Teil von Kongresspolen zum Russischen Reich. In den Jahren nach der Jahrhundertwende waren Max Mejer und sein Vater aktiv in der sozialistisch-zionistischen Bewegung in Siedlce beteiligt: Josef hatte mit anderen Zionisten eine Untergrundbibliothek geführt, die 1904 vom lokalen Gouverneur legalisiert worden war; sein Sohn Max Mejer engagierte sich in den lokalen Bewegungen der Ha-Tkhiya („Wiedergeburt“) und der sozialistisch-zionistischen Poale Zion („Arbeiter Zions“), die in Siedlce während der Russischen Revolution von 1905 den Widerstand der Aufständischen gegen die Zarentruppen mitorganisierte. In den Folgejahren siedelte die Familie nach Berlin über, wo Josef Rosenwasser ab 1908/1909 eine Zigarettenfabrik in der Kaiserstraße 8 (heutige Jacobystraße) in Berlin-Mitte aufbaute, deren Mitinhaber Max Mejer in den 1910er-Jahren wurde. Im Juli 1914 und im August 1915 starben in recht jungen Jahren erst Max Mejers Schwester Chana in Berlin und dann seine Mutter Frimmet. 1920 heiratete sein Vater in zweiter Ehe die gebürtige Berlinerin Elisabeth Levy.

In den 1910er-Jahren hatte Max Rosenwasser die aus Auschwitz (heutiges Oświęcim) stammenden Wirtschafterin Ryfka Regina Ritter kennengelernt. Ryfka und Max bekamen zwischen 1916 und 1921 drei Kinder: Im Januar 1916 wurde Fanny in Berlin geboren, im Mai 1917 folgte Amalie (Mirjam) und im September 1921 Harry Rosenwasser. Am 21. März 1921 heirateten Max Mejer Rosenwasser und Ryfka Regina Ritter. Die Familie lebte in den 1920er-Jahren in einer Wohnung in der Thomasiusstraße 5 in Moabit. 1923 wurde Max Eigentümer des jugendzeitlich gestalteten Wohnhauses, das 1902 vom Architekten Hans Landé errichtet worden war. Max Rosenwasser erwarb außerdem ein Grundstück in der Belziger Straße 38 in Schöneberg und ließ das dortige Wohnhaus errichten, das Ende der 1930er-Jahre bezugsfertig wurde. Mitte der 1920er-Jahre zog sich Max Mejer Rosenwasser aus der Fabrikation und dem Handel mit Tabakwaren zurück und widmete sich zusammen mit seiner Ehefrau der Verwaltung seiner Grundstücke. Die Kinder erhielten eine gute Ausbildung: So besuchte Amalie etwa das Lyzeum de Mugica in der Wilsnacker Straße 3 in Moabit und das Dorotheen-Oberlyzeum in der Wilhelmshavener Straße 2 und wollte später Biologie studieren; Harry Rosenwasser war Schüler des Luisen-Gymnasiums in der Turmstraße. Leider haben sich keine weiteren Zeugnisse erhalten, die einen Einblick in das Leben der Familie im Berliner der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Max Mejer Rosenwasser und seine Familienangehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden und Anfang der 1930er-Jahre hatte die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zugenommen. Ab 1933 institutionalisierte sich der Rassismus mit Hilfe staatlicher Autorität. Max Mejers Tochter Amalie war gezwungen das Dorotheen-Oberlyzeum zu verlassen und versuchte noch auf der Lessing-Volkshochschule ihr Abitur nachzuholen, verließ Berlin aber 1936 und emigrierte nach Palästina. In den Jahren 1937 und 1939 folgten ihre Geschwister Harry und Fanny, die sich ebenfalls aus Deutschland in das britische Mandatsgebiet Palästina retten konnten. Ob auch ihre Eltern in den 1930er-Jahren Pläne verfolgten, Deutschland zu verlassen, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Sollten sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. Im Januar 1938 starb Max Mejers Vaters Josef in Berlin. Im selben Jahr wurde Max Mejer Rosenwasser im Zuge der sogenannten „Polenaktion“ verhaftet, von seiner Familie getrennt und aus Berlin nach Bentschen (Zbąszyń) deportiert. Die Ausgewiesenen durften nur wenige Nahrungsmittel und Habseligkeiten mitnehmen. Wie lange Max Mejer im Sammellager bleiben musste, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Es ist aber anzunehmen, dass er Polen bis zu seiner Ermordung 1942 nicht mehr verlassen konnte. Nach dem Überfall auf Polen 1939 wurde Max Mejer von den deutschen Besatzern erneut verhaftet. Aus einer Liste der Jüdischen Gemeinde geht hervor, dass er zeitweise im Ghetto Krakau interniert war, bevor er in den 1940er-Jahren in das Ghetto Siedlce deportiert wurde. Sein Sohn Harry Rosenwasser berichtete später: „Mein Vater wurde im Jahre 1938 von den Nazis abgeholt u. nach Polen u. zwar m.W. nach Benszyn u. später nach seinen Geburtsort Siedlce verschickt. Dort ist mein Vater im August 1942, wie ich später erfahren habe, zusammen mit seiner Schwester vor seinem Geburtshaus erschossen worden.“ Im August 1942 begann die Auflösung des Ghettos Siedlce und die Ermordung der Internierten durch Deportationen in das Vernichtungslager Treblinka und Massenerschießungen in Siedlce. Max Mejer Rosenwasser wurde am 23. August 1942 in Siedlce ermordet. Er war 56 Jahre alt.

In Berlin waren die Grundstücke und das Vermögen für kurze Zeit in den Besitz seiner Frau übergegangen, bevor die „Haupttreuhandstelle Ost“ die Immobilien Anfang der 1940er-Jahre beschlagnahmte. Ryfka Regina Rosenwasser war gezwungen, zur Untermiete in ein Zimmer in der Altonaer Straße 7 im Hansaviertel umzuziehen. Das Leben war für sie in Berlin zum Existenzkampf geworden. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnte sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Außerdem musste sie seit spätestens Anfang der 1940er-Jahre Zwangsarbeit leisten. Eine Bekannte von ihr berichtete später: „Ich erinnere mich, daß sie sich dahingehend äußerte, daß sie unter menschenunwürdigen Bedingungen in der Wäscherei der Firma Bergmann tätig sein mußte.“ Sie war Zwangsarbeiterin bei der Firma „H. Bergmann GmbH – Färberei und chemische Reinigungsanstalt“ in Alt-Moabit 95–97. 1942 erhielt sie den Deportationsbescheid und wurde im August 1942 in einer der Berliner Sammelstellen interniert. Von dort wurde sie am 31. August 1942 mit dem „19. Osttransport“ über den Güterbahnhof Moabit in das Ghetto Riga deportiert und dort – vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft im Bahnhof Riga-Šķirotava – in den umliegenden Wäldern des Ghettos bei Rumbula erschossen. Die drei Kinder von Max Mejer und Ryfka Regina Rosenwasser – Fanny Rosenwasser, verheiratete Speier, Harry Rosenwasser und Amalie (Mirjam) Rosenwasser, verwitwete Frietmann, wiederverheiratete Brandler – überlebten die NS-Verfolgung im Exil.

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Biographische Zusammenstellung / Autor:

Indra Hemmerling

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Quellen:

  • Gedenkbuch. Online unter: bundesarchiv.de/gedenkbuch (aufgerufen am 15. Mai 2022).
  • Berliner Adressbücher 1900­–­­­1943; Jüdisches Adressbuch für Gross-Berlin 1929/1930 und 1931/1932; Amtliches Fernsprechbuch für Berlin 1908, 1932, 1934, 1936–1941; Berliner Handels-Register 1921–1931. Online unter: zlb.de (aufgerufen am 26. Juli 2022).
  • Akte zu Ryfka Regina Rosenwasser, geb. Ritter, aus dem Bestand des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg im Brandenburgischen Landeshauptarchiv und Akte zu Elisabeth Rosenwasser, geb. Levy.
  • Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin Abt. I. Entschädigungsakte zu Max Rosenwasser; Ryfka Regina Rosenwasser  und Elisabeth Rosenwasser, geb. Levy.
  • Opferdatenbank Yad Vashem. Central DB of Shoah Victims’ Names. Online unter: http://yvng.yadvashem.org (aufgerufen am 26. Juli 2022). Page of Testimony zu Max Meir Rosenwasser und Ryfka Regina Rosenwasser erstellt von Fanny Speier, geb. Rosenwasser.
  • Fotografie von Max Meir Rosenwasser. Fotosammlung Yad Vashem. Online unter: https://photos.yadvashem.org/photo-details.html?language=en&item_id=14278783&ind=0 0 (aufgerufen am 26. Juli 2022).
  • Ergänzungskarten für Angaben über Abstammung und Vorbildung aus der Volkszählung vom 17. Mai 1939 im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (Bestand R 1509).
  • Geburtsanzeige Elisabeth Levy (Nr. 910, Berlin am 13. April 1889). Landesarchiv Berlin. Online unter: ancestry.com (aufgerufen am 26. Juli 2022).
  • Eheanzeige Max Rosenwasser und Rifka Ritter (Nr. 154, Berlin am 21. März 1921); Elisabeth Levy und Josef Rosenwasser (Nr. 931, Charlottenburg, am 5. August 1920). Landesarchiv Berlin. Online unter: ancestry.com (aufgerufen am 26. Juli 2022).
  • Todesanzeige Josef Rosenwasser (Nr. 172, Berlin am 31. Januar 1938). Landesarchiv Berlin. Online unter: ancestry.com (aufgerufen am 26. Juli 2022).
  • Eintrag zu Max Mejer Rosenwaser. Familiendatenbank Juden im Deutschen Reich. Online unter: https://www.online-ofb.de/famreport.php?ofb=juden_nw&ID=I291618&modus=&lang=de (aufgerufen am 26. Juli 2022).
  • Karteikarte zu Ryfka Rosenwasser. Berliner Kartei. American Jewish Joint Distribution Committee (AJDC). Online unter: https://collections.arolsen- https://collections.arolsen-archives.org/de/search/person/11254327?s=Ryfka%20Rosenwasser&t=2575239&p=0 (aufgerufen am 26. Juli 2022).
  • Eintrag zu Max Mejer Rosenwasser. Jüdische Gemeinde in Krakau. Archiwum ZIH. Online unter: https://yvng.yadvashem.org/index.html?language=de&s_id=&s_lastName=Rosenwasser&s_firstName=Meer&s_place=&s_dateOfBirth=&cluster=true (aufgerufen am 26. Juli 2022).
  • Deportationslisten. Reproduktion im National Archives and Records Administration, USA, Signatur A3355: Rifka Rosenwasser, „19. Osttransport“ (Lfd-Nr. 735); Elisabeth Rosenwasser, geb. Levy, „29. Osttransport“ (Lfd-Nr. 292). Online unter: statistik-des-holocaust.de (aufgerufen am 26. Juli 2022).
  • Zur Verlegung: Die Stolperstraße. Ehemaliger Mitarbeiter des Rom e. V. initiiert weltweit beachtetes Erinnerungsprojekt in Berlin, in: Nachrichten und Beiträge aus dem Rom e. V., Nevipe 1+2/2015, S. 20–34.
  • Zu den Rosenwassers in Siedlce vgl. Eliyahu Naor-Bitchutsky: Zionist Youth Movements. The First Youth Organizations. Online unter: https://www.jewishgen.org/yizkor/yedintsy/yed0523.html (aufgerufen am 26. Juli 2022); Avraham Friedman: The Jewish National Fund Bazaar in Siedlce. Online unter: https://www.jewishgen.org/yizkor/Siedlce1/sie366.html (aufgerufen am 26. Juli 2022); F. Drumy (Popowsky): Parties and Social Institutions. Siedlce – The Zionist City. Online unter: https://www.jewishgen.org/yizkor/Siedlce1/sie317.html (aufgerufen am 26. Juli 2022); Edward Kopówka: The Jews in Siedlce 1850–1945. Online unter: https://www.jewishgen.org/yizkor/siedlce3/sie028.html#33r (aufgerufen am 26. Juli 2022); Israel Tabakman: “Po’alei Zion” in Siedlce. Online unter: http://www.siedlce.org.il/israel-tabakman-poalei-zion-in-siedlce (aufgerufen am 26. Juli 2022).