Stolperstein für

Kurt Moser

Adresse: Bayerischer Platz 4

 

Kurt Moser wurde als Kurt Moses am 1. August 1891 in der Ostsee-Hafenstadt Kolberg in Westpommern (dem heutigen Kołobrzeg) geboren. Er war der Sohn des Kaufmanns und Getreidehändlers Albert Moses (1854–1927) und seiner Frau Julie Moses, geborene Lubszynski (1861–1929). Kurt wuchs im Kreis von fünf Geschwistern auf: Seine älteren Brüder Arthur, Georg H. und Ernst waren zwischen 1886 und 1889 in Kolberg geboren worden, seine Brüder Fritz und Günther kamen 1893 und 1899 zur Welt. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Kurt Moses und seinen Geschwistern haben sich so gut wie keine Informationen erhalten. Seine Eltern gehörten zu der relativ kleinen jüdischen Gemeinde Kolbergs. Wie seine Brüder besuchte er das königliche Dom- und Realgymnasium zu Kolberg. Laut Familienangaben erhielten die Brüder keine formelle jüdische Erziehung, weil ihr Vater eine Meinungsverschiedenheit mit dem örtlichen Rabbiner hatte und aufhörte, seine Söhne in die Synagoge zu schicken.

Nach seinem Schulabschluss schlug Kurt wie bereits sein Bruder Ernst den Berufsweg des Arztes ein. Er studierte Medizin in Greifswald, Kiel und Berlin und erhielt 1916 die Approbation. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs hatte er sich am 1. August 1914 als Kriegsfreiwilliger gemeldet und diente während der vier Kriegsjahre als Stabsarzt an der Westfront. Mehrere Monate war er als Oberstabsarzt in der Festung Metz eingesetzt und wurde im Einsatz mehrfach verletzt. Für seine Dienste erhielt er das Eiserne Kreuz II. Klasse. Nach dem Ende des Krieges spezialisierte er sich auf Frauenheilkunde und Seuchenbekämpfung und promovierte 1921 an der Universität Königsberg i. Pr. (Kaliningrad) mit einer Arbeit zu psychischen Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis mit dem Titel: „Über Dementia praecox bei Geschwistern“. Im Jahr 1922 änderte er wie auch seine Brüder seinen Familiennamen in „Moser“. Im selben Jahr wurde ihm vom preußischen Staat der Ehrentitel eines Medizinalrats verliehen.

Zu Beginn der 1920er-Jahre war Kurt Moser als Arzt im Schöneberger Auguste-Viktoria-Krankenhaus tätig und später in den Beelitzer Heilstätten in Potsdam-Mittelmark. Ab 1923 war er für mehrere Jahre als Polizeiarzt für das Schöneberger Polizeipräsidium in der Apostel-Paulusstraße im Bereich der Seuchenbekämpfung beschäftigt. 1925 konvertierte Kurt Moser zum evangelischen Glauben und ließ sich zwischen 1927 und 1932 als Kreisarzt in Crossen an der Oder (Krosno Odrzańskie) nieder. In seine dortige Wohnung nahm er auch seine verwitwete Mutter Julie auf, bevor diese 1929 verstarb. Um 1932 zog er zurück nach Berlin und nahm sich eine Wohnung in der Würzburger Straße 17 in Wilmersdorf, um zwischen 1932 und 1934 erneut als Polizeiarzt für das Polizeipräsidium tätig zu sein. Kurt Moser heiratete nicht. Er unterstützte seinen unverheirateten Bruder Günther, der Jurist war, aber als Spätfolge einer Kriegsverletzung erblindete, seit 1933 arbeitslos war und in der Rosenheimer Straße 30 wohnte. Sein Bruder Ernst war Zahnarzt geworden und wohnte mit seiner Familie in den 1930er-Jahren in der Bayreuther Straße 27/28, sein Bruder Fritz wohnte als Untermieter in der Prinzregentenstraße 7.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen Kurt Moser und seine Geschwister. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Abgesehen von Boykottmaßnahmen, behördlichen Schikanen und Verhaftungsaktionen wurde die Schlinge für jüdische Ärzte durch eine Flut von Verordnungen und Gesetze schrittweise enger gezogen: So wurden „nichtarische“ Ärzte mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933“ vom öffentlichen Gesundheitswesen ausgeschlossen, zwischen 1933 und 1937 wurden ihnen sukzessive mit insgesamt sieben Verordnungen die Kassenzulassungen entzogen, mit der Verordnung vom 20. November 1933 durften sie keine ärztlichen Fortbildungskurse mehr besuchen und wurden vom ärztlichen Bereitschaftsdienst ausgeschlossen; ab dem Jahr 1936 durften sie nicht mehr mit „deutschstämmigen“ Ärzten zusammenarbeiten. 1938/1939 zog er in eine 2 ½-Zimmer-Wohnung im Gartenhaus-Erdgeschoss am Bayerischen Platz 4 in Wilmersdorf. Ein Zimmer diente als Praxis, im zweiten Zimmer wohnte Kurt Moser und im halben Zimmer seine Haushälterin und Praxishilfe, Fräulein Selma Prinz, die ebenfalls jüdischer Herkunft war. Am 30. September 1938 wurde Kurt Moser wie allen jüdischen Ärzten und Ärztinnen mit der „Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ die Approbation entzogen. Er konnte fortan noch als „Krankenbehandler“ ausschließlich jüdische Patienten versorgen und war als praktischer Behandler bis November 1942 tätig.

Während der Pogrome im November 1938 hielt sich Kurt Moser mehrere Tage bei Freunden und Patienten versteckt, um den Massenverhaftungen in Berlin und Deportationen in das KZ Sachsenhausen zu entgehen. Ob Kurt Moser in den 1930er-Jahren konkrete Pläne verfolgte, das Land zu verlassen, ist nicht bekannt. Sollte er Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. Zu Beginn des Jahres 1939 wurde Kurt Moser erstmals verhaftet, nach einem Verhör im Polizeipräsidium Alexanderplatz auf Intervention seines Bruders Ernst am folgenden Tag aber wieder freigelassen. Das Leben wurde für Kurt Moser Ende der 1930er-Jahre und Anfang der 1940er-Jahre zunehmend zum Existenzkampf. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnte er sich nach der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen.

Der Entrechtung und Demütigung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 teilte die Gestapo der Jüdischen Gemeinde Berlin mit, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Am 21. November 1942 wartete die Gestapo stundenlang in der Wohnung auf Kurt Moser, den sie bei einem Krankenbesuch wähnten, fanden dort aber nur seine Haushälterin Selma Prinz an. Diese konnte Kurt Moser, der sich gerade bei seinem Bruder Fritz befand, durch einen verabredeten Code am Telefon warnen. Die beiden Brüder tauchten an diesem Tag unter. Die 72-jährige Haushälterin konnte auch noch einen dritten Bruder, den Zahnarzt Ernst Moser, warnen, wurde aber am 21. November selbst verhaftet. Kurt Moser lebte ab diesem Zeitpunkt im „Untergrund“ und kam bei mehreren Freunden und Verwandten in und um Berlin unter. Er musste häufig seinen Standort wechseln und lebte in ständiger Bedrohung vor Denunziation und Entdeckung.

Sein Bruder Georg H. Moser hatte in den 1930er-Jahren, das Land verlassen und sich nach Brighton in Großbritannien retten können. Zwei Tage nachdem der erblindete Dr. Günther Moser im Frühjahr 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet worden war, ging auch Dr. Ernst Moser am 28. Februar 1943 angesichts der unmittelbaren Gefahr in die Illegalität. Seine geschiedene Frau und zwei seiner Kinder waren zuvor in die USA ausgewandert, ein drittes Kind von ihm lebte in Berlin. Dr. Arthur Moser war verheiratet mit der Nichtjüdin Gertrud Moser, geborene Schneider, und hatte mit ihr zwei Kinder. Durch die nach NS-Terminologie „privilegierte Mischehe“, die er führte, war er zunächst von Deportationen aus Berlin zurückgestellt. Fritz Moser war im Winter 1942 zusammen mit seiner Lebensgefährtin Maria Viktoria Weiss in die Illegalität gegangen. Im Sommer 1943 wurde ihre Zimmerwirtin in Deutsch-Wusterhausen misstrauisch und denunzierte das Paar. Fritz Moser und Maria Weiss wurden daraufhin von der Gestapo verhaftet.

Die anschließenden Ereignisse haben sich in der Familie wie folgt überliefert: Als Fritz nicht zu einem vereinbarten Treffen erschien – bis dahin hatten die drei untergetauchten Brüder Kontakt gehalten und sich in öffentlichen Restaurants und auf Bahnstationen getroffen – und er auch keine Nachricht von ihm erhielt, fuhr Kurt Moser am 11. Juni 1943 nach Deutsch-Wusterhausen, um nach seinem Bruder zu suchen. Dessen Zimmerwirtin bat ihn zu warten, während sie vorgab, Fritz zu holen. Stattdessen rief sie heimlich die Polizei. Kurt Moser, der im letzten Moment die Situation begriff, versuchte zu fliehen und den Schüssen der Beamten im Zick-zack-Lauf – einer Praxis, die er in den Grabenkämpfen des Ersten Weltkriegs erlernt hatte – zu entkommen. Er wurde dennoch am Arm getroffen, überwältigt und verhaftet. Von der Polizei wurde er der Gestapo übergeben, die ihn in das Berliner Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 brachte. Dort traf er auf seinen Bruder Fritz und dessen Lebensgefährtin Maria Weiss. Seinem Bruder gelang die Flucht aus dem Sammellager, als er Zwangsarbeit am Lehrter Bahnhof verrichten musste, und er unterrichtete seinen Bruder Dr. Ernst Moser von den Ereignissen. Kurz darauf wurde er erneut verhaftet und zusammen mit Maria Weiss am 28. September 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo beide ermordet wurden.

Kurt Moser war unterdessen in das Krankenhaus der Jüdischen Gemeinde Berlins gebracht worden, wo er unter Aufsicht der Gestapo soweit gepflegt worden war, dass ihm der behandelnde Arzt, Dr. Walter Lustig, die „Transportfähigkeit“ attestierte. Im Krankenhaus hatte er seinen nach wie vor untergetauchten Bruder Ernst Moser um eine Medikamentenüberdosis gebeten und auch auf andere Weise mehrmals versucht, sich das Leben zu nehmen, was misslang. Kurt Moser wurde im Alter von 52 Jahren am 4. August 1943 mit dem „40. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet. Sein Bruder Dr. Arthur Moser wurde, weil er ihm in der Zeit der Illegalität geholfen hatte, im November 1944 in das Konzentrationslager Neuengamme deportiert und dort ermordet. Sein Bruder Ernst Moser überlebte die NS-Verfolgung.

 

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Biographische Zusammenstellung / Autor:

Indra Hemmerling

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Quellen:

  • Gedenkbuch Berlin. Online unter: bundesarchiv.de/gedenkbuch (aufgerufen 22. Oktober 2019)
  • Berliner Adressbücher 1925–1943; Jüdisches Adressbuch für Gross-Berlin 1929/1930 und 1931/1932; Telefonbuch Berlin 1908, 1932. Online unter: zlb.de (aufgerufen am 22. Oktober 2019)
  • Opferdatenbank Yad Vashem. Central DB of Shoah Victims’ Names. Online unter: http://yvng.yadvashem.org/: (aufgerufen am 30. Juli 2019). Erinnerungsseite (Page of Testimony) zu Kurt Moser (erstellt von seinem Neffen Roland H Merton)
  • Deportationslisten. Reproduktion im National Archives and Records Administration, USA, Signatur A3355: Dr. Arthur Oppenheim (40. „Osttransport“, Lfd-Nr. 57). Online unter: statistik-des-holocaust.de (aufgerufen am 22. Oktober 2019)
  • Eintrag zu Dr. Kurt Moser, in: Schwoch, Rebecca (Hrsg.): Berliner jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal im Nationalsozialismus. Ein Gedenkbuch, Potsdam 2009, S. 620
  • Eintrag zu Dr. Kurt Moser, in: Schwoch, Rebecca: Jüdische Ärzte als Krankenbehandler in Berlin zwischen 1938 und 1945, Frankfurt am Main 2018, S. 430–431