Stolperstein für

Hildegard Levy, geborene Marcus

Adresse: Thomasiusstraße 19

 

Hildegard Marcus, Hilde genannt, wurde am 12. Juli 1903 in Berlin geboren. Ihre Eltern waren der Klempnermeister Isaak Marcus (1865–1940) und Klara Marcus, geborene Grund (1872–1942). Sie hatten 1895 in Krotoschin (heute Krotoszyn in Polen), dem Geburtsort ihrer Mutter, geheiratet und waren nach der Hochzeit nach Berlin gezogen, wo 1897 der ältere Bruder von Hildegard, Bernhard Bruno Marcus, zur Welt kam. Zum Zeitpunkt von Hildegards Geburt lebte die Familie in einer Wohnung in der Luisenstraße 45 in Berlin-Mitte.

Aus dem Jahr 1907 ist ein Familienbild erhalten, das die vierjährige Hildegard mit ihren Eltern, Großeltern und dem weiteren Familienkreis zeigt. Es wurde vermutlich anlässlich des 70. Geburtstages von Hildegards Großvater Ephraim Abraham Marcus (1837–1926) in Ostrowo (Ostrów Wielkopolsk) aufgenommen, woher der Familienzweig von Hildegards Vater stammte. Isaak und Klara Marcus hatten in Berlin eine Gas- und Wasseranlagenfabrik betrieben – zunächst in der Hindersinstraße 2 (heute überbaut) und ab 1904 in der Karlstraße 46 in Mitte (heutige Reinhardtstraße) –, welcher der Familie den Lebensunterhalt sicherte. Klara führte die Buchhaltung, bis Hildegards Bruder aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrte und an Stelle ihrer Mutter die Geschäfte an der Seite des Vaters übernahm. Bernhard war 1917 an der Front verletzt worden, überstand die Verwundung aber ohne Folgen. Nach Kriegsende wurde der Betrieb als Installationsgeschäft für sanitäre Anlagen sowie Gas, Wasser und Heizung in der Karlstraße 39 weitergeführt, ab 1929 in der Karlstraße 17 und zwischen 1933 und 1938 in der Karlstraße 16. In den 1920er-Jahren lebte die Familie Marcus an der Adresse Karlstraße 39. Anfang der 1930er-Jahre zogen sie in eine Wohnung am Alexanderufer 6 in der Nähe des Humboldthafens. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Leben von Isaak und Klara Marcus und ihren Kindern im Berlin der Weimarer Republik geben könnten. Es ich auch nicht bekannt, welche Ausbildung Hildegard erhielt und welchen Beruf sie nach ihrem Schulabschluss ergriff. Möglicherweise war sie ebenfalls im Familienbetrieb in der Karlstraße beschäftigt.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Hildegard Marcus und ihre Familie. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden und Anfang der 1930er-Jahre hatte die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zugenommen. Ab 1933 institutionalisierte sich der Rassismus mit Hilfe staatlicher Autorität, Erlasse und Sondergesetze drängten Hildegard Marcus zunehmend in die Position einer Rechtlosen. Mitte der 1930er-Jahre zogen Hildegards Eltern in eine Wohnung in der Landshuter Straße 15 in Schöneberg und Ende der 1930er-Jahre in die Thomasiusstraße 19 in Moabit, wo sie eine Wohnung im Vorderhaus des vierten Stocks bezogen. Hier lebte in dieser Zeit auch Hildegard mit ihren Eltern und nach dem Tod ihres Vaters im Dezember 1940 mit ihrer verwitweten Mutter. Vermutlich Anfang der 1940er-Jahre heiratete sie den aus Dortmund stammenden Felix Levy, der mit in die Wohnung in der Thomasiusstraße einzog und mit dem sie im August 1941 und im Oktober 1942 ihre zwei Söhne Denny und Jona Levy bekam. Spätestens in den 1940er-Jahren war das Leben für das Ehepaar in Berlin zum Existenzkampf geworden. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Hildes Ehemann musste zudem Zwangsarbeit leisten: Zuletzt als Arbeiter der Kondensatorenfabrik der Firma Ernst Roederstein in der Wusterhauser Straße 16 (heute überbaut) in Mitte.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Hildegards 70-jährige Mutter Klara wurde im September 1942 – kurz vor Jonas Geburt – aus der Wohnung in der Thomasiusstraße in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Sie überlebte die unmenschlichen Bedingungen im Ghetto nur wenige Wochen, bevor sie am 28. September 1942 in Theresienstadt ermordet wurde – entweder durch direkte oder indirekte Gewalteinwirkung mittels planvoller Mangelernährung, versagter Medikamente, Kälte und körperlichen Misshandlungen. Hildegard und Felix Levy lebten mit ihren Kindern noch bis 1943 in Berlin, bevor sie im Zuge der „Fabrik-Aktion“, bei der die letzten offiziell in der Hauptstadt verbliebenen Juden deportiert werden sollten, Ende Februar 1943 in Berlin verhaftet wurden. Sie wurden im Sammellager der ehemaligen Synagoge in der Levetzowstraße 7–8 interniert. Von dort wurde die damals 39-jährige Hildegard Levy mit ihrem Ehemann und den beiden Kleinkindern Denny und Jona am 3. März 1943 mit dem „33. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort – vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft – ermordet.

Hildegards Bruder Bernhard Marcus überlebte die NS-Verfolgung in sogenannter „privilegierter Mischehe“ mit seiner nichtjüdischen Ehefrau Gertrude Magdalena Marcus, geborene Rattman, und der 1932 in Berlin geborenen Tochter Thea Marcus. 1939 hatten die drei in Charlottenburg in der Marburger Straße 5 gelebt.

<<<>>>

Biographische Zusammenstellung / Autor:

Indra Hemmerling

<<<>>>

Quellen:

  • Gedenkbuch. Online unter: bundesarchiv.de/gedenkbuch (aufgerufen am 15. Mai 2022).
  • Berliner Adressbücher 1910­–­­­1943; Jüdisches Adressbuch für Gross-Berlin 1929/1930 und 1931/1932. Online unter: zlb.de (aufgerufen am 26. Juli 2022).
  • Akte zu Felix Levy aus dem Bestand des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg im Brandenburgischen Landeshauptarchiv.
  • Opferdatenbank Yad Vashem. Central DB of Shoah Victims’ Names. Online unter: http://yvng.yadvashem.org (aufgerufen am 26. Juli 2022). Page of Testimony zu Hildegard Levy erstellt von Howard Bregman.
  • Ergänzungskarten für Angaben über Abstammung und Vorbildung aus der Volkszählung vom 17. Mai 1939 im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (Bestand R 1509).
  • Deportationslisten. Reproduktion im National Archives and Records Administration, USA, Signatur A3355: Hildegard Levy, geborene Marcus, „33. Osttransport“ (Lfd-Nr. 48); Felix Levy (Lfd-Nr. 1515); Denny Levy (Lfd-Nr. 68); Jona Levy (Lfd-Nr. 69); Klara Marcus, geb. Grund, „57. Alterstransport“ (Lfd-Nr. 24). Online unter: statistik-des-holocaust.de (aufgerufen am 26. Juli 2022).
  • Geburtsanzeige Hildegard Levy, geborene Marcus (Nr. 1840, Berlin am 13. Juli 1903). Register der Stadt Berlin. Landesarchiv Berlin. Online unter: ancestry.com (aufgerufen am 26. Juli 2022).
  • Eintrag zu Hildegard Levy, geborene Marcus, in der Genealogie-Datenbank Geni. Online unter: https://www.geni.com/people/Hildegard-Levy/6000000009147821644?through=6000000009147157942 (aufgerufen am 26. Juli 2022).
  • Fotografie Familienfest der Familie Marcus, 1907. Aus dem Album Howard Bregman’s photos von Howard Bregman in der Genealogie-Datenbank Geni. Online unter: https://www.geni.com/photo/view?album_type=photos_of_me&id=6000000009147821644&photo_id=6000000009191637213&position=1 (aufgerufen am 26. Juli 2022).
  • Eintrag zu Bernhard Levy. Verlustlisten 1. Weltkrieg, Seite 20856: Marcus Bernhard (Berlin). Verein für Computergenealogie. Online unter: http://des.genealogy.net/search/show/6805644 (aufgerufen am 26. Juli 2022).
  • Todesfallanzeige Klara Markus, geborene Grund, in der Opferdatenbank Theresienstadt. Online unter: holocaust.cz (aufgerufen am 26. Juli 2022).
  • Oliver Geiger: Kurzbiographie zu Clara Marcus (geb. Grund). Stolpersteine in Berlin. Online unter: https://www.stolpersteine-berlin.de/de/biografie/7200 (aufgerufen am 26. Juli 2022).