Stolperstein für

Harry Hüttel

Adresse: Rykestraße 22

 

Der Widerstandskämpfer und Kommunist Harry Hüttel wurde am 17. August 1897 in Berlin geboren. Er war der Sohn des aus Dresden stammenden Kunstmalers Oskar Hüttel und der Berlinerin Agnes Anna Hüttel, geborene Richter, die 1895 in Berlin geheiratet hatten. Zum Zeitpunkt der Geburt von Harry wohnte das Ehepaar in der Bredowstraße 43 in Moabit. Harry Hüttel hatte vier Geschwister: Zwei 1895 und 1899 geborene Schwestern namens Hertha und Hildegard und zwei jüngere Brüder namens Gerhard und Heinz. Über die Kindheit und Jugend von Harry und seiner Geschwister im Berlin der Kaiserzeit und der Weimarer Republik haben sich kaum Informationen erhalten. Er besuchte die Volksschule in Berlin und begann nach dem Abschluss eine Ausbildung zum Maler, die er 1912 bis 1915 im damaligen Pommern absolvierte. In den folgenden Jahren arbeitete er in seinem Beruf als Hilfsmaler in Berlin, bis ihn gesundheitliche Probleme und mehrere Operationen in seiner Tätigkeit einschränkten und er seinen Unterhalt hauptsächlich aus einer Invalidenrente bestritt. Zuletzt war er bis zu seiner Entlassung 1933 als Pfleger im Berliner Hufeland-Hospital angestellt, das sich an der Prenzlauer Allee Ecke Fröbelstraße befand. Ende der 1920er- oder Anfang der 1930er-Jahre heiratete er. Die Ehe mit Ida Hüttel, geborene Priese, wurde 1934 geschieden.

Im Jahr 1930 trat Harry Hüttel in die KPD ein, wo er zunächst als Literaturobmann für die Herstellung und Verbreitung von Schriften, später als politischer Leiter einer Straßenzelle der KPD im Unterbezirk Prenzlauer Berg zuständig war. In dieser Zeit wohnte er in einer Wohnung in der Rykestraße 22 nahe der Danziger Straße. Im gleichen Haus lebte Anfang der 1930er-Jahre auch der Widerstandskämpfer Johannes Wolf (1898–1943) und nur einige Häuserblocks entfernt Franz Huth (1906–1933), der Leiter der KPD-Parteischule Zepernick. Auch nach 1933, dem Verbot der KPD und ersten Verhaftungswellen in Berlin blieb Harry Hüttel seinen Überzeugungen treu. Mit Mitstreitern organisierte er im Untergrund den antifaschistischen Widerstand im Prenzlauer Berg. Ende 1933 übernahm er die Leitung der Roten Hilfe (RHD) für den Unterbezirk (UB) und organisierte in dieser Funktion die materielle Hilfe für Verfolgte und für Familien von politischen Häftlingen. Später war er darüber hinaus politischer Instrukteur der KPD für die Ortsteile Prenzlauer Berg, Weißensee und Friedrichshain. Außerdem beteiligte er sich weiterhin an der Entstehung und der Verbreitung von Parteischriften wie dem von Jakubowski und Anton Liermann herausgegebenen „Roten Stern“. Der geheime Druckort der illegalen Flugschriften lag in der Wohnung von Alfred Kauf in der Werneuchener Straße 15, einer der Haupttreffpunkte für Versammlungen in der Wohnung des Schuhmachers Karl Jeschke in der Chodowieckistraße 3 – nur wenige Meter von der Wohnadresse Hüttels in der Rykestraße 22 entfernt. In einem späteren Bericht der Staatspolizei vom 31. März 1936 heißt es zur Arbeit der KPD im Prenzlauer Berg: „Auch nach dem 30. Januar 1933 hat der UB ‚Prenzlauer Berg‘ sich durch seine illegale Arbeit und Herausgabe von Zeitungen besonders hervorgetan. Nach Angaben des Pol.[itischen]-Leiters [Anton Liermann] hatte er zuletzt 130 bis 140 zahlende und aktive Mitglieder. Ein Eindringen in diesen UB war besonders schwierig, weil die Mitglieder immer wieder Schutz und Unterstützung bei alten Genossen fanden“. Seit Oktober/November 1935 hatte die Gestapo die Zusammenkünfte der KPD-Unterbezirksleitung in der Chodowieckistraße observiert und verhaftete im Januar 1936 zwölf Bewohner des Hauses. Die nun einsetzenden Festnahmen weiteten sich Anfang 1936 zu Massenverhaftungen innerhalb der Berliner KPD aus. Bis zum August 1937 sollten im Zuge der Verhaftungswelle mehr als 120 KPD-Angehörige des UB Prenzlauer Berg durch das Kammergericht oder in Verfahren des Volksgerichtshofs verurteilt werden.

Harry Hüttel war am 3. März 1936 durch die Gestapo auf offener Straße verhaftet und nach seiner Inhaftierung gefoltert worden. Ab dem 4. April 1936 befand er sich in Haft im Untersuchungsgefängnis Moabit. Das Verfahren gegen ihn wurde im Frühjahr 1937 eröffnet. Am 26. Januar 1937 verurteilte ihn das Kammergericht Berlin wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu vier Jahren Zuchthaus und er wurde wenige Tage später, am 5. Februar 1937, in das Zuchthaus Brandenburg-Görden eingeliefert. In der Strafanstalt saßen seit 1933 vorwiegend politische Gefangene, „Sicherungsverwahrte“ und zum Tode Verurteilte ein. Mit der Verschärfung des nationalsozialistischen Terrors gegen politisch Inhaftierte wurde 1940 eine Hinrichtungsstätte in einer Garage des Zuchthauses installiert, in der Tausende Gefangene, die dem Faschismus Widerstand geleistet hatten, ermordet wurden. Harry Hüttel, der während seiner Haftzeit als Arzthilfskraft tätig war, beteiligte sich unter den widrigsten Bedingungen an der Organisation des Widerstands der politischen Gefangenen. Der in dieser Zeit ebenfalls in Brandenburg-Görden inhaftierte Erich Honecker schreibt später in seiner Biografie: „Trotz strengster Isolierung und Überwachung sowie unzähliger Schikanen hatten eingekerkerte Kommunisten eine illegale Parteiorganisation gebildet. […] Der Parteiorganisation gelang es nach und nach, die Kalfaktorstellen fast durchweg mit politischen Gefangenen zu besetzen. So wurde ich wie Max Uecker und Harry Hüttel Arztkalfaktor […]. In der Regel wurden neu eingelieferte Gefangene dem Arzt vorgestellt. Mit den Genossen unter ihnen konnten wir daher ersten Kontakt aufnehmen und die Verbindung zur illegalen Parteiorganisation herstellen.“

Nach vier Jahren Haft in Brandenburg-Görden wurde Harry Hüttel am 15. Januar 1940 der Berliner Gestapo überstellt. Sein nach wie vor ungebrochener Wille spiegelt sich im Führungszeugnis der Strafanstalt an den Polizeipräsidenten Berlin wieder, in der er als „Querulant“ tituliert wird, der „keine Einsicht über das Verwerfliche seiner Tat zeigt“. Es sei zweifelhaft, so das Zeugnis weiter, ob er nach seiner Entlassung von seinen kommunistischen Ideen abließe, „da er bei der ehemaligen K.P.D. eine führende Rolle gespielt hat.“ Mit der Begründung, sein Verhalten gebe Anlass zur Befürchtung, er werde die Freiheit erneut zu staatsfeindlichen Umtrieben missbrauchen, wurde Harry Hüttel durch die Gestapo mit Haftbefehl vom 18. April 1940 in „Schutzhaft“ genommen und am 7. Mai 1940 in das Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt. In Sachsenhausen wurde er mit der Häftlingsnummer 019617 erfasst und dem Block 65 zugewiesen, der damals unter dem Kommando des sadistischen SS-Unterscharführers Gerhard Palitzsch stand, später war er im Block 44 untergebracht. Dort durchlitt er die Kriegsjahre und beteiligte sich wahrscheinlich auch hier – es fehlen zwar konkrete Quellen, aber sein bisheriger Lebensweg lässt nichts anderes vermuten – am organisierten Widerstand der politischen Gefangenen. Nach jahrelanger KZ-Haft in Sachsenhausen wurde Hüttel im letzten Kriegsjahr in das Konzentrationslager Mauthausen deportiert. Am 15. Februar 1945 wurde er in das Sanitätslager mit dem Vermerk „R.u“ [Rückkehr unerwünscht] überstellt. Das Sanitätslager befand sich außerhalb des eigentlichen Häftlingslagers und bestand aus mehreren von einem mit Starkstrom geladenen Stacheldrahtzaun umgebenen Holzbaracken. Die hier durch Krankheit arbeitsunfähig gewordenen Häftlinge galten der SS als nutzlos, wurden sich selbst überlassen, teils für medizinische Versuche missbraucht und mit Giftinjektionen oder in der Gaskammer Mauthausens ermordet. Harry Hüttel überlebte den NS-Terror in den Wirren der letzten Kriegsmonate. Er erlebte am 5. Mai 1945 die Befreiung des KZ Mauthausen durch amerikanische Truppen.

Im Mai 1945 kehrte Harry Hüttel körperlich schwer gezeichnet in seine Heimatstadt Berlin zurück. In den Jahren 1947 und 1948 bekleidete er noch das Amt des Bürgermeisters im Brandenburgischen Hennigsdorf, bevor er am 4. Mai 1950 im Alter von 52 Jahren an den Folgen der KZ-Haft verstarb.

 

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Biographische Zusammenstellung / Autor:

Indra Hemmerling

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Quellen:

  • Gedenkbuch Berlin. Online unter: bundesarchiv.de/gedenkbuch (aufgerufen 22. Oktober 2018).
  • Berliner Adressbücher 1897–1936. Online unter: zlb.de (aufgerufen am 22. Oktober 2018).
  • Eheanzeige Oskar und Agnes Hüttel, geborene Richter (Nr. 539, Berlin, 15. September 1895). Heiratsregister der Berliner Standesämter 1874–1920. Landesarchiv Berlin. Faksimile online unter: ancestry.com (aufgerufen am 22. Oktober 2018).
  • Geburtsanzeige Harry Hüttel (Nr. 2205, Berlin am 18. August 1897). Geburtsregister der Stadt Berlin 1874–1899. Faksimile online unter: ancestry.com (aufgerufen am 22. Oktober 2018).
  • Schlussbericht der Staatspolizei vom 31. März 1936: Bundesarchiv, Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten, Z C 11113.
  • Veränderungsmeldungen des KZ Sachsenhausen. Archiv Sachsenhausen JSU 1/96 Bl. 133; Veränderungsmeldungen des Krankenbaus Sachsenhausen. Archiv Sachsenhausen D 1 A/1054, Bl. 024; Schutzhaftbefehl der Geheimen Staatspolizei vom 18. April 1940; Haftzugangsmeldung von Harry Hüttel im Zuchhaus Brandenburg-Görden [einschl. Lebenslauf] vom 5. Februar 1936. Zugangsliste 1631 B6; Abschrift des Führungszeugnisses vom 23. Februar 1940 an den Polizeipräsidenten Berlin; Zugangsliste Mauthausen, Archiv Sachsenhausen D 10 A/01, Bl. 061.
  • Mauthausen Häftlingszugangsbücher der politischen Abteilung (Y/36), Transportliste aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen (E/13/11/5). Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen.
  • Sandvoß, Hans-Rainer: Widerstand in Prenzlauer Berg und Weißensee, Berlin 2000, S. 108, 115, 162.
  • Wehner, Günter: Widerstand in Berlin gegen das NS-Regime 1933 bis 1945. Ein biographisches Lexikon, Bd. 3, Berlin 2004, S. 156.
  • Honecker, Erich: Aus meinem Leben, Berlin 1980; zit. n. der auszugsweisen Veröffentlichung im Spiegel: „Das war mein Leben“, Der Spiegel 38/1980. Online unter: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14329823.html (aufgerufen am 22. Oktober 2018).
  • Brand, Yushka: Der Tag der Freude: 8. Mai 1945. Der Widerstandskämpfer Harry Hüttel. Online-Gedenkseite vom 8. Mai 2015 auf dem Blog Sugarprincess. Online unter: https://sugarprincess-juschka.blogspot.com/2015/05/der-tag-der-freude-8-mai-1945-der.html (aufgerufen am 22. Oktober 2018).