Stolperstein für
Dennis Deutsch
Adresse: Blücherstraße 61 b
Dennis Deutschs kurzes Leben hatte kaum begonnen, als es gewaltsam in Auschwitz endete. Er wurde am 12. Oktober 1940 in Berlin geboren. Am 2. März 1943 wurde das zweieinhalb Jahre alte Kleinkind mit seiner Mutter aus der Hauptstadt in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Dennis (auch Denny genannt) war der Sohn des Bäckers Alex Deutsch (*1913) und dessen Frau Thea (*1913). Seine Mutter stammte aus Czempin (dem heutigen Czempiń in Polen) und war mit ihrer Familie Anfang der 1920er-Jahre nach Berlin gekommen. In den 1930er-Jahren arbeitete sie bei einer jüdischen Vereinigung, die Auswanderungen insbesondere Jugendlicher vorbereitete und organisierte und lernte dort Alex Deutsch kennen, der seit 1933 bei der Auswandererhilfe aushalf. Alex war nach dem Tod seines Vaters 1922 in einem Jüdischen Waisenhaus in Pankow aufgewachsen und hatte ab 1928 eine Ausbildung als Bäcker absolviert.
Von 1932 bis 1935 war er als Bäcker in einer Lebensmittelgroßhandlung in der Alexanderstraße in Berlin-Mitte beschäftigt gewesen. Mit den Nürnberger Gesetzen und dem Verbot von Juden im Lebensmittelgewerbe hatte er nicht mehr als Bäcker arbeiten können und verdiente sein Auskommen als Laufbursche und Straßenreiniger, bis er 1937 zu Zwangsarbeit herangezogen wurde. Unter anderem war er als Bauarbeiter beim Abriss des Berliner Diplomatenviertels zwangsverpflichtet gewesen und hatte ab 1938/1939 Zwangsarbeit in der Kohlehandlung Ludwig in der Bülowstraße in Berlin-Schöneberg geleistet. Am 29. Juni 1938 hatten Thea und Alex Deutsch geheiratet und Alex zog in die Wohnung in der Urbanstraße 188 an der Kreuzung zur Blücherstraße in Kreuzberg, in der seine Frau mit ihren Eltern, zwei Geschwistern und ihrer Tante lebte. Hier kam im Oktober 1940 Dennis zur Welt.
Dennis Deutsch wurde in eine Gesellschaft geboren, in der er aufgrund seiner Geburt als Sohn jüdischer Eltern als „Volksfeind“ galt und rassistischer Verfolgung ausgesetzt war. Es kann für seine Eltern nicht leicht gewesen sein, das Kleinkind Anfang der 1940er-Jahre zu versorgen. Für die Mittel des täglichen Bedarfs reichten die diskriminierenden Lebensmittelkarten für Juden kaum aus, die nur in bestimmten Geschäften und zu beschränkten Zeiten zum Bezug von Nahrung berechtigten. 1942 wurden auch diese Mittel noch einmal drastisch eingeschränkt. Sie erhielten beispielsweise kein Fleisch, keine Eier und keine Milch mehr, außerdem keine Weizenerzeugnisse wie Mehl und Weißbrot. Alex Deutsch berichtete später: „Wer den Juden nichts verkaufen wollte, brauchte ihnen nichts zu geben. Man durfte als Jude nur zu bestimmten Uhrzeiten einkaufen. Meine Frau durfte nur abends eine halbe Stunde vor Geschäftsschluss gehen.“ So war die Familie bei der Versorgung auch auf die Hilfe von Ladenbesitzern, Freunden und Nachbarn angewiesen, die sie laut Erinnerung von Alex Deutsch von einzelnen Personen immer wieder erfuhren. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für die Familienmitglieder in Berlin zum Existenzkampf geworden. Nachdem sie aus ihren regulären Berufen gedrängt worden waren, mussten die meisten der in der Urbanstraße wohnenden Familienangehörigen Zwangsarbeit leisten: So waren neben Dennis’ Vater Alex Deutsch auch sein Großvater Philipp Cohn, sein Onkel Siegbert Cohn und seine Großtante Selma Silberstein zu Zwangsarbeit in Berliner Betrieben dienstverpflichtet worden. Erlasse und Sondergesetze drängten die Familienmitglieder zunehmend in die Position von Rechtlosen. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen.
Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Im Herbst 1942 wurde die Familie in der Urbanstraße gewaltsam auseinandergerissen, als Dennis’ Großeltern mütterlicherseits sowie sein Onkel Siegbert und seine Tante Hertha den Deportationsbescheid erhielten. Sie wurden am 29. November 1942 mit dem „23. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet. Dennis und seine Eltern lebten noch bis ins Frühjahr 1943 in Berlin. Sie wurden im Rahmen der „Fabrik-Aktion“, bei der die letzten offiziell in der Hauptstadt verbliebenen Juden deportiert werden sollten, im Februar 1943 von der Gestapo verhaftet. Dennis wurde zusammen mit seiner Mutter am 2. März 1943 mit dem „32. Osttransport“ nach Auschwitz deportiert. Unmittelbar nach ihrer Ankunft wurden die 29-jährige Thea und der zweieinhalbjährige Dennis in Auschwitz ermordet.
Dennis’ Vater Alex Deutsch wurde einen Tag nach ihnen am 3. März 1943 nach Auschwitz deportiert, wo er als Häftling in das Lager Auschwitz-Monowitz selektiert wurde und schwerste körperliche Zwangsarbeit verrichten musste („Vernichtung durch Arbeit“). Nach seinen späteren Berichten erfuhr er etwa 14 Tage nach seiner Ankunft in Auschwitz von der Ermordung seiner Frau und seines Kindes und schwor sich, das Lager zu überleben, um sich zu rächen. Im Januar 1945 wurde er mit anderen Häftlingen auf einen „Todesmarsch“ nach Gleiwitz (Gliwice) geschickt. Von dort aus wurde er in das KZ Buchenwald weiterdeportiert und kam anschließend in das Außenlager Langenstein-Zwieberge in der Nähe von Halberstadt, wo er Ende April 1945 von amerikanischen Soldaten befreit wurde. Auf der Rückseite einer Fotografie, die Dennis im Jahr 1941 oder 1942 zeigt, notierte Alex Deutsch später handschriftlich: „Mein kurzes Glück und langes Weh“.
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Biographische Zusammenstellung / Autor:
Indra Hemmerling
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Quellen:
- Gedenkbuch. Online unter: bundesarchiv.de/gedenkbuch (aufgerufen am 15. Mai 2022).
- Berliner Adressbücher 1920–1943; Jüdisches Adressbuch für Gross-Berlin 1929/1930 und 1931/1932. Amtliches Fernsprechbuch für Berlin 1932, 1934, 1936–1939. Online unter: zlb.de (aufgerufen am 26. Juli 2022).
- Kennkarte der „Vermögensverwertungsstelle“ zu Thea Deutsch im Bestand des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg im Brandenburgischen Landeshauptarchiv.
- Opferdatenbank Yad Vashem. Central DB of Shoah Victims’ Names. Online unter: http://yvng.yadvashem.org (aufgerufen am 26. Juli 2022). Page of Testimony zu Denny und Thea Deutsch erstellt von Hilde Dittrich.
- Fotografie von Dennis Deutsch. Fotosammlung Yad Vashem. Online unter: https://photos.yadvashem.org/photo-details.html?language=en&item_id=14151202&ind=0 (aufgerufen am 26. Juli 2022).
- Ergänzungskarten für Angaben über Abstammung und Vorbildung aus der Volkszählung vom 17. Mai 1939 im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (Bestand R 1509).
- Deportationslisten. Reproduktion im National Archives and Records Administration, USA, Signatur A3355: Denny Deutsch, „32. Osttransport“ (Lfd-Nr. 319); Thea Deutsch, geb. Cohn (Lfd-Nr. 320); Alex Deutsch, „33. Osttransport“ (Lfd-Nr. 1255); Hertha Cohn, „23. Osttransport“ (Lfd-Nr. 357); Philipp Cohn (Lfd-Nr. 355); Louise Cohn, geb. Silberstein (Lfd-Nr. 356); Siegbert Cohn (Lfd-Nr. 586). Online unter: statistik-des-holocaust.de (aufgerufen am 26. Juli 2022).
- Eintrag zu Dennis Deutsch in der Genealogie-Datenbank Geni. Online unter: https://www.geni.com/people/Dennis-Deutsch/6000000025003526480 (aufgerufen am 26. Juli 2022).
- Eintrag zu Alex Deutsch. Langenstein-Zwieberge Concentration Camp Inmate Cards, 1944–1945. Online unter: ancestry.com (aufgerufen am 26. Juli 2022).
- Akte zu Alex Deutsch. Inhaftierungsdokumente. Konzentrationslager Buchenwald. Arolsen Archiv. Online unter: https://collections.arolsen-archives.org/de/search/topic/1-1-5-3_01010503-001-094-216?s=Alex%20Deutsch (aufgerufen am 26. Juli 2022).
- Silke Struck, Recherchen: Marcus Gryglewski: Kurzbiographie zu Alex Deutsch. Stolpersteine in Berlin. Online unter: https://www.stolpersteine-berlin.de/de/biografie/2160 (aufgerufen am 26. Juli 2022).
- Alex Deutsch Stiftung: Lebenslauf Alex Deutsch. Online unter: http://www.alex-deutsch-stiftung.de/index.php?id=1395 (aufgerufen am 26. Juli 2022).
- Christian und Thomas Funck: „Ich habe Auschwitz überlebt!“ – Interview mit Alex Deutsch zum 75. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung, 27. Januar 2020. Online unter: https://www.wndn.de/ich-habe-auschwitz-ueberlebt-interview-mit-alex-deutsch-zum-75-jahrestag-der-auschwitz-befreiung (aufgerufen am 26. Juli 2022).
- Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage AG: Dennis Deutsch. Alex-Deutsch-Schule. Online unter: https://www.alex-deutsch-schule.de/unsere-schule/namensgeber/dennis-deutsch (aufgerufen am 26. Juli 2022).