Stolperstein für
Georg Baumgarten
Adresse: Immanuelkirchstraße 24
Georg Baumgarten wurde am 19. Juli 1882 in dem kleinen Dorf Leitersdorf im Landkreis Crossen an der Oder geboren, der damals zu Brandenburg gehörte. Heute heißt die ehemalige Gutshofsiedlung Sycowice; sie liegt etwa 12 Kilometer nordwestlich von Czerwieńsk. Über die Kindheit und die Jugend von Georg Baumgarten in Leitersdorf ist wenig bekannt. Sein Vater war der 1841 in Bornst geborene Kaufmann Gustav Baumgarten, Sohn des Handelsmann Meier und der Friederike Baumgarten. Seine Mutter stammte ebenfalls aus der Region. Sie hieß Rosalie Baumgarten, geb. Fleischer, und war 1842 in Bobersberg als Tochter des Handelsmanns zu Crossen, Meier Fleischer, und der Rachel Fleischer, geb. Heidemann, geboren.
Georg wuchs im Kreis von vier Geschwistern in Leitersdorf auf. Seine älteste Schwester Selma war 1875 geboren worden, es folgten 1876 Klara, 1879 sein Bruder Martin und 1880 seine Schwester Helene. Zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt, aber spätestens in den Jahren um die Jahrhundertwende, verließen die Familienmitglieder Leitersdorf und zogen nach Berlin. Selma Baumgarten hatte 1902 in der Hauptstadt den Mechaniker Max Moritz Schlesinger geheiratet. Sie arbeitete als Näherin; ihre Schwester Klara, die 1909 den Berliner Geschäftsreisenden Joseph Diener ehelichte, als Schneiderin. Georg Baumgarten hatte sich zusammen mit seinem Bruder Martin in Berlin auf die Fabrikation und den Industriehandel mit Beleuchtungskörpern spezialisiert. 1912 firmierte ihr Geschäft in der heute überbauten Gollnowstraße 33 (etwa auf Höhe der Mollstraße) in Berlin-Mitte. Nach Zwischenstationen in der Elisabeth- und Immanuelkirchstraße verlegten die Brüder um 1920 das Gasbeleuchtungsgeschäft in die Greifswalder Straße 212-213.
Georg Baumgarten hatte inzwischen die Buchhalterin Johanna Kiewe kennengelernt, 1912 geheiratet und mit ihr eine Wohnung in der Immanuelkirchstraße 23 im Winsviertel des Prenzlauer Bergs bezogen. Im selben Jahr heiratete sein Bruder Martin die Berlinerin Martha Klemm und seine Schwester Helene den Berliner Kaufmann Wolf Goebel. Einige Jahre zuvor, 1908, war Georgs Mutter Rosalie in Berlin verstorben; im Dezember 1915 starb auch sein Vater Gustav. Leider haben sich keine Quellen erhalten, die einen Einblick in das persönliche Leben der Familie Baumgarten im Berlin der Weimarer Republik geben könnten. Die Ehe von Georg und Johanna Baumgarten blieb kinderlos, ebenso wie seine zweite Ehe, die er im Dezember 1937 mit der zehn Jahre jüngeren, aus Posen (dem heutigen Poznań) stammenden Martha Kiwi schloss. Das Ehepaar bezog im selben Jahr eine 3-Zimmer-Wohnung im Vorderhaus der Immanuelkirchstraße 24, in der sie zur Untermiete die damals 68-jährige Minna Marie Wolff und später auch deren Schwiegertochter Herta Wolff aufnahmen.
Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen die Familie Baumgarten. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Bis ins Jahr 1938 hielt Georg Baumgarten am Betrieb seines Geschäfts für Elektro- und Gasartikel in Berlin fest, dann gab er es zwangsweise auf. Er arbeitete in den folgenden Jahren in Berlin als Kaufmann. Ab Herbst 1941 mussten sowohl Georg als auch seine Frau Martha Zwangsarbeit bei Berliner Unternehmen leisten; Georg Baumgarten zuletzt als Hilfsmechaniker bei der als kriegswichtig eingestuften Elektromaschinenfabrikation „Willi Popp“ in der Wiener Straße 10 in Kreuzberg. Mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ konnten sie sich nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen.
Der Entrechtung und Ausgrenzung folgte die Deportation: Im Rahmen der sogenannten Fabrik-Aktion, bei der die letzten offiziell in der Hauptstadt verbliebenen Juden deportiert werden sollten, hatte man Georg und Martha Baumgarten an ihrem Arbeitsplatz verhaftet und in ein Berliner Sammellager verschleppt. Von dort wurde der damals 60-jährige Georg Baumgarten am 3. März 1943 nach Auschwitz deportiert und im Vernichtungslager ermordet. Seine Frau war bereits zwei Tage zuvor, am 1. März, ebenfalls in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet worden, genauso wie ihre Untermieterin Herta Wolff. Deren Schwiegermutter Minna Marie Wolff war bereits im Oktober 1941 aus der Wohnung in der Immanuelkirchstraße in das Ghetto Litzmannstadt (Łódź) deportiert und 1942 im Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) ermordet worden.
Georgs Schwester Helene Goebel, geb. Baumgarten, wurde im Mai 1943 in Auschwitz ermordet. Seine Schwester Klara Diener war im April 1942 in das Ghetto Warschau deportiert worden. Ob sie hier zu Tode kam oder erst in ein Vernichtungslager weiterdeportiert und ermordet wurde, ist nicht bekannt – ebenso wenig ist über das Schicksal von Georgs ältester Schwester Selma Baumgarten überliefert. Aus dem weiteren Kreis der Familie überlebten Helenes Ehemann Adolf Goebel und die Schwester von Martha Baumgarten, Hertha Meyer, geb. Kiwi, die NS-Verfolgung. Die Eltern von Martha Baumgarten, der 78-jährige Moritz Kiwi und seine ein Jahr ältere Frau Philippine, waren 1942 in das Ghetto Theresienstadt verschleppt worden, wo Moritz Kiwi die katastrophalen Bedingungen nur wenige Tage überlebte. Philippine Kiwi fiel am 2. Juli 1944 den unmenschlichen Bedinungen in Theresienstadt zum Opfer.
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Biographische Zusammenstellung / Autor:
Indra Hemmerling
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Quellen:
Deportationslisten. Reproduktion im National Archives and Records Administration, USA, Signatur A3355: Georg Baumgarten, 33. Osttransport (Lfd-Nr. 823); Martha Baumgarten, 31. Osttransport (Lfd-Nr. 779). Online unter: statistik-des-holocaust.de (aufgerufen am 22. Oktober 2018).
Kolley, Sylvia: Geschichte der Juden in der Mark Brandenburg und Preußen. Zuletzt aktualisiert Sept. 2017: Genealogische Angaben zur Familie Marcus. Online unter: http://www.luckauer-juden.de/nvz2.html (aufgerufen am 22. Oktober 2018).